Heimatverein Wilberg im Lippischen Heimatbund e.V.

Geschichte

PRÄLIMINARIEN ZUR GESCHICHTE EINES KLEINEN DORFES

 

Das kleine Dorf W i l l b e r g ist etwa 1/4 Stunde

unterhalb Meinberg an der Werne gelegen und bestehet nur aus wenigen Einwohnern

und also dahier nichts besonderes anzumerken,

außer daß Anno 1574 Von der Herrschafft eine Mühle dahier angeleget worden.

der ander theil des Orts gehört Zum amt Detmold,

wohin auch die Eingeseßenen eingephart gewesen,

aberst neulich, wegen der weiten Entfernung

dem Kirchspiel Meinberg beygeben worden.

 

        Einem profanen Anlass verdankte einst, im Jahr 1785, diese despektierliche Beschreibung des Dorfes Wilberg ihre Abfassung, und sein Autor, Amtsrat Krücke, unterschlug in der Eile, mit welcher er das unbedeutende Dorf ordnungsgemäß in die "Repertorinen" des Amtes Horn aufnahm, eine Mühle - als wichtiger "Industriezweig" der damaligen Zeit immerhin ein Manko der herrschaftlichen Regalien! Übereilt wird auch die Einpfarrung der "Unterwilber­ger" oder „der ander theil“, nämlich die Schönemarker Ansiedlungen, als Faktum behandelt, um deren Kirchweg allerdings noch Jahrzehnte gestritten werden sollte.

        Bedachtsamkeit spricht dagegen aus den Zeilen einer längst vergilbten Zeitungsrubrik, die dem Verfasser in Kongruenz mit dem elementaren Bedürfnis, der eigenen Ge-schichte nachzuspüren, auf den Schreibtisch geriet. Das Blatt gehört zur "Lippischen Landeszeitung" Nr. 144 und trägt das Datum vom 25. Juni 1955.

       "Wilberg - Hangsiedlung über der Werre ", so lautet die Überschrift, und der Untertitel verspricht etwas vom "Kinderbrunnen ", vom "Gästebuch des Ziegenkruges" und dass man zu irgendeiner Gelegenheit "plärrte wie die Hippen" - eine ortsübliche Umschreibung in lippscher Mundart für das Meckern der Ziegen.

       Es sind nun mehr als vier Jahrzehnte dahingegangen, seit der Autor dieses Berichtes, der unvergessene Lippische Heimat- und Brauchtumsforscher Dr. August Meier-Böke das Werretal im Wilberge durchstreifte und seine Eindrücke mit der ihm eigentümlichen Beobachtungsgabe - etwa an Hermann Löns erinnernd - kenntnisreich und stimmungsvoll zu Papier brachte. Welche Beweggründe gäbe es wohl anzuführen um, wie Meier-Böke, fast jeden verwunschenen Pfad im Land um Werre und Bega unter die eigenen Füße zu nehmen, die unmittelbare Erfahrung der heimatlichen Landschaft zu suchen und den Lebensformen seiner Bewohner und ihrer Geschichte unermüdlich auf der Spur zu sein?

       Unter mancherlei Wahrnehmungen auf seiner Wanderung von Bad Meinberg nach Wilberg entlang der Werre hat ihn denn auch die Frage beschäftigt, was wohl der Name "Georg Wilberg" im Sturzbalken des alten Hoftores von Nr. 26 zu Meinberg, früher Nr. 41, jetzt Moorstraße 8, einem alten Kötterhaus von 1701 in den Nähe des Hofes Hagemeister, mit dem Dorf Wilberg gemeinsam hat: "Heißen er und seine Vorfahren nun nach dem Dorf oder das Dorf nach ihm und seinen Vorfahren?"

       Ferner weiß Meier-Böke, dass man schon 1380 lesen kann: „To dem Wiltberge". Vielleicht "weil die Gegend wildreich oder irgendwie wild beschaffen war"?

       Das hiermit zitierte erste schriftliche Zeugnis über die Existenz der Ortschaft Wilberg, eine simple Steuerliste oder sogenanntes "Landschatzregister", ist neuerlich nach Karl Sundergelds Ansicht um das Jahr 1390 zu datieren, während allerdings mit spontanen volksetymologischen Spekulationen der Name schwerlich nach seiner Bedeutung hinterfragt werden kann. Dagegen wäre dem Wanderer die Beziehung des im Meinberger Torbogen verewigten Georg Wilberg zum Dorf Wilberg leichter erschlossen worden, hätte sich ein - aus der Werrewiesen­-Perspektive betrachtet - bollwerkartig auf der Anhöhe thronendes Gehöft besser auszuweisen vermocht, als sich oberhalb des in der Bachniederung gelegenen stattlichen Mühlengebäudes zu türmen und - im Gegensatz zu dem im Schatten hochbekrönter Eichen fast verborgenen ehrwürdigen Fach­werkbau des Altemeier-Hofes - sich un-mittelbar an die alte Straße von Wilberg nach Bad Meinberg zu postieren!

       Die sorgsam gehüteten farbigen Inschriften und Diagramme über den Deelentoren, etwa des Hase-Hofes von 1697 oder bei Altemeier "im Dorfe" von 1766, erteilen freilich mit ihrer prangen­den Eitelkeit dem eiligen Passanten bereitwilliger Auskunft über die Identität ihrer Erbauer als zwei nüchtern im Schlußstein des Torgemäuers eingelassene ortsfremde Namen mit dem kurzen Vermerk: "Erbaut 1891 ".

    Wie sollte auch der nur kurz verweilende Heimatfreund angesichts solchermaßen verkürzter Auskunft ahnen, dass er vor Wilbergs Hof steht, dessen Haupthaus und Leibzucht am 4. April des Jahres 1890 durch eine Brandkatastrophe in Asche gelegt wurden? Weiter forschend würde er mit Betroffenheit erfahren, dass der damalige Besitzer, Ernst Simon Bartold Wilberg, noch am 8. Juni des gleichen Jahres an der Schwindsucht starb, nachdem er seine dritte Tochter Alwine Caroline erst wenige Wochen zuvor, am 15. Mai, zu Grabe getragen hatte! Die Erstgeborene und Anerbin nach altem Brauch, Hermine Luise, war bereits seit einigen Jahren verstorben, und vorsorglich übertrug die Witwe vor ihrer zweiten Verehelichung mit Gottlieb Wilhelm Rethmeier das Anerbenrecht auf die erst siebenjährige zweite Tochter Caroline Conradine, schlicht "Lina" genannt, vier Monate bevor sie selbst - Johanna Juliane, geb. Fellensiek - am 3. September des Jahres 1891 gleichfalls einer Lungenentzündung erlag!

    Einem unerforschlichen Gesetz anheim gegeben, löschte das Schicksal die Jahrhunderte alte Kontinuität von Familie und Hof  binnen eines Jahres aus, und die heute über dem steinernen Hoftor zu lesenden Namen verdunkeln ihre Geschichte und eine reiche, mit dem Dorf existentiell verbundene Tradition.

    Als nach dem Wiederaufbau des Hofes und fünfzehnjähriger Interimsbewirtschaftung Wilhelm Rethmeier mit seiner zweiten Ehefrau Anna Marie Reese im Jahr 1907 den Hof verlassen musste, und die verbriefte Erbtochter Caroline Conradine Wilberg mit Gustav Friedrich Wilhelm Mölling aus Heßloh bei Heiden die Ehe einging, wurde der genealogische Faden zwar wieder aufgenommen, aber Geschichte und Name des derweil annähernd fünfhundert Jahre alten Wilbergschen Hofes gerieten nach Abschaffung der „Hausnamen“ schnell in Vergessenheit. Selbst alte Einwohner wussten in unseren Tagen auf die Frage nach dem Hof, dessen Name mit dem ihres Dorfes identisch ist, kaum mehr eine Antwort. Gewiss, der lippische Bauer genießt nicht gerade den Ruf der Redseligkeit, was unter Umständen keineswegs als Nachteil empfunden wird. Aber der Begriff "Tradition" ist nun einmal ein Fremdwort und führt, obgleich mit unleugbar mediativen Eigenschaften ausgestattet, bedauerlicherweise im Sprachschatz der Landleute ein anspruchsloses Dasein.       

    Trotz karger Quellenlage muss aber die Antwort auf Meier-Bökes Frage nach der Identität des Namens Georg Wilberg im Torbogen des Hauses Moorstraße 8 zu Meinberg nicht ausgespart bleiben. Das erste, von Pastor Heinrich Bernhard Rickmeyer Anno 1677 auf hochgräfliche Anordnung eingerichtete Meinberger Kirchenbuch erteilt hierüber keine Auskunft. Lediglich eine Bier­steuer, "Accise" genannt, welche anlässlich einer Kindtaufe bei Hanß zum Wilberg im Wilberge und seiner Ehefrau Ilsabein geb. Meyer zu Oberheesten im Jahr 1653 erhoben und beim Gogericht registriert ist, führt auf die Spur. Sodann ist mit Datum vom 28. Februar 1683 eine Ehever­schreibung erhalten, nach welcher "Jürgen" (Georg), Hanß zum Wilbergs dritter Sohn und Anna Margaretha Hagemeister, Hanß Hagemeisters zu Meinberg Tochter, sich die Heirat versprechen und den Brautschatz protokollieren lassen. Und eben diese Verbindung kündet die Inschrift im Torsturz des Bad-Meinberger Kötterhauses von 1701 noch heute. Auf Gut Rothensiek bei Horn ist den Eheleuten noch im Hochzeitsjahr, am 16. Dezember 1683,  Tochter Sybilla getauft worden, wie das Hornsche Kirchenbuch weiß. Allein der vom Adel in die Bauernwelt abgesunkene Name fällt auf, wenn er 1698 in Amelungs Haus Nr. 41 zu Meinberg wieder auftaucht. Aber mit diesen schwachen Spuren entzieht sich die Familie Georg Wilberg zunächst wieder dem Gesichts­kreis des Forschers.

    Die Inschrift im Torsturz gibt zwar als Baujahr 1701 an, was jedoch nicht bedeuten muss, dass in diesem Jahr das Haus tatsächlich errichtet wurde, denn auch umfassende Erneuerungen boten oft Gelegenheit, Namen und Daten zu aktualisieren. Die etwa seit dem 16. Jahrhundert auch auf dem Lande in Mode gekommene Anbringung von Spruch- und Bildmagie christlicher Glaubens-Sentenzen sowie Zeichen fortlebender animistischer Vorstellungen wie Hexen- und Geisterglaube, also Relikte längst untergegangener Religionen an den Hoftoren, setzte man zwar durch An­bringung neuer Namen, vielleicht auch eines geänderten Geleitwortes oder „Haussegens“ anlässlich solcher Umbauten gern in Beziehung zu den derzeitigen Bewohnern, hielt jedoch am überlieferten "Hausnamen“ fest. Zum über-wiegenden Teil blieben diese noch bis zum Ende des 19. Jahrhun­derts für die Bewohner verbindlich und fanden als "Familiennamen" Eingang in die standes­amtliche Registratur. Der Begriff "Hausname" aber erfreute sich umgangssprachlich noch bis weit in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts eines lebendigen Daseins.

   Ein "Hausname" Georg Wilberg etablierte sich also nicht nach der traditionellen Formel. Dieses Privileg war bereits besetzt: Zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs tauchte der Name eines alten sächsischen Geschlechts, nämlich „Amelung“ in Meinberg auf, und im Jahr 1655 "giebt Henrich Ahmelungh den Erbtheil" für die Übernahme des Anwesens in der Nähe von „Hagemeisters Hofe“. Erst gegen Ende des Jahrhunderts zieht Georg Wilberg mit seiner Familie hier ein. Tochter Sybilla ist 1699 Taufpatin auf Wilbergs Hof und wird im Kirchenbuch bereits mit dem „Hausnamen“ Amelung bedacht. Im zweiten Jahrzehnt nach der angeblichen Erbauung von 1701 scheinen sich die Ereignisse zu überschlagen: 1715 "tretten" Töns Henrich Kruse mit Magdalene Volmars die "Amelstette an", und Johann Berend Wilberg zum Wilberge, Hoferbe und Halbbruder des Georg Wilberg, ist 1720 Mit-unterzeichner eines Ehevertrags zwischen Anna Magdalena Amelung, Witwe Töns (Tünnes = Anton) Henrich Amelungs, vormals Kruse, und des Christian Nolte, der zu seiner Frau auf die Kötterstätte ziehen will. Aber die Ehe kommt nicht zustande. Nolte stirbt vorzeitig und ihm folgt sogleich Jochen Reinecke aus Tintrup, jetzt genannt Amelung. 1722 stirbt "Jürgen Cruse", offenbar Georg Wilberg, aber auch genannt Amelung, und 1725 "die alte Amelungsche", gemeint ist wohl Anna Margaretha Hagemeister. Aber die Vorgänge bleiben undurchsichtig, da offenbar Kruse den tradierten Hausnamen Amelung verdrängen will. Das vom damaligen Meinberger Pastor Christoph Köller äußerst nachlässig geführte Kirchenbuch erteilt leider keine Auskunft. Auch das Gogericht meldet die anhängigen Nachlasssteuern nicht, wie denn auch die üblichen "Weinkauf"-Quittungen der Protagonisten fehlen.

   Wie sich zeigt, eröffnet dennoch die Genealogie dem Chronisten schnell ein breites Spektrum historischer Abläufe, sofern sich dieser nicht ausschließlich dem detektivischen Spieltrieb, dem leidenschaftlichen Registrieren von Namen und Daten verschrieben hat. Genealogische Aspekte bestimmen aber nicht nur die Geschichte eines Hauses, sondern können auch die Strukturen einer Zusammensiedlung von Kotten und Einzelhöfen zu Ort­schaften, etwa zu einem Dorf beeinflussen. Zu den familiären, sozialen und kulturellen Charakteristiken solcher Siedlungsgemeinschaften zählt auch die Ausbildung eines kollektiven Handlungskodex mit unverwechselbaren Eigenschaften, dem Brauchtum. Mit Recht widmet also Dr. Meier-Böke seine Studien schwerpunktmäßig lokalen Ausprägungen ritueller Traditionen sowie den Praktiken des Aberglaubens besonders bei der Dorfbevölkerung und wird des Befragens nicht müde, wenn er auf den Pfaden der Geschichte durch die Lande wandert. Insofern bedeuten ihm das Austreiben böser Mächte durch gewaltigen Lärm, das "plärren wie die Hippen" in der Mergelkuhle, und der "Kinderbrunnen", der Wilberger Mühlenteich, aus dem der Storch die Neugeborenen fischt, oder das "Osterlämmchen" im Kupferkessel beim Gastwirt Julius Vogt spezielle Wilberger Erfahrungen, und das imaginäre "Gästebuch" des hiesigen "Ziegenkrugs" stellt eine ergiebige Quelle sozialer Bezüge dar. Auch seine Frage nach dem Zusammenhang der Familie Wilberg und dem Ort Wilberg und wer denn hier nach wem heißt, ist keineswegs Indiz trivialer Neugier, sondern verweist vielmehr auf das Bedürfnis nach Erhellung eines historischen Prozesses.

   "Wilberg, ein alter Mühlenort" - unter diesem Titel hatte bereits zwei Jahre zuvor, am 31. Oktober 1953, ein Artikel der "Freien Presse" die Aufmerksamkeit auf das Dorf im Werretal gelenkt. Die Autorin Lizzy Schmidt beklagt: "In der ... lippischen Bibliographie, die alles enthält, was je über Lippe geschrieben und auch gedruckt worden ist, kommt Wilberg nicht vor", und vertritt dazu die Ansicht, dass der Aktenbestand des Landesarchivs, heute Nordrhein-Westfälisches Staats­archiv, durchaus genügend Material für eine Dorfchronik enthalte. Sie wagt auch sogleich einen Griff in die Geschichte des Dorfes, benutzt scheinbar instinktiv die Definition "Meier­scher Mühlenhof“ für den Hof Altemeier und weiß, "daß hier - mitten im dreißigjährigen Kriege - nur ein siebenjähriges Mädchen allein übriggeblieben" war. Es sei "aus dem Schönmark" ein Bauer Klöpping als eine Art Treuhänder für 20 Jahre eingesetzt. "Sollte er einen Sohn bekommen, so möge dieser das Mägdlein heiraten. So liest man, und so scheint es auch gewesen zu sein". Soweit Lizzy Schmidt. Die ungeschriebene Dorfchronik aber hätte darüber wie folgt berichten müssen:

   Umherziehende Landsknechte rivalisierender Parteien und die Pest hatten üble Ernte gehalten. Kein Hof und kein Anwesen in Wilberg waren verschont geblieben, die Besitzer zumeist tot, die Kötterhäuser sowie Altemeiers und Wilbergs Hofanlagen zerstört und verlassen. Die Bauern Hase und Lahmann fristeten mit dem kümmerlichen Rest ihrer Habe ein beklagenswertes Dasein. Kaum ein schriftliches Zeugnis scheint das maßlose Elend der Menschen dokumentieren zu wollen, den gewaltsamen Tod von Frauen und Kindern, Bauern und Knechten, noch die fortgesetzte Bedrohung durch Hunger und Pest, wogegen Sach- und Viehverluste sorgfältig registriert wurden und das Bestreben, die zerstörten Höfe schnellstens wieder zu besetzten, erstes Gebot war. Nicht nur die Versorgung der Restbevölkerung galt es zu sichern, sondern auch die Einkünfte des Landes nicht zu schmälern, allein um den fortgesetzten Erpressungen der Kriegsherren zu genügen.

   Die Abfassung eines erforderlichen Berichts über die Wiederbesetzung des Hofes Altemeier zu Wilberg mit Datum des 19. Februar 1683 veranlasste den Amtsschrei­ber zu Horn, auf ein Dokument der Kriegszeit von etwa 1640 zurückzugreifen, worin es heißt:

    "Nachdem der Meyer zum Wilberg nebst seiner Hausfrau mit dreyen Kindern und der Hof bis auf ein Metgen von sieben Jahren ledig gestorben,... daß dahero Johann Klöppingh auß der Schonmarcks nebst seiner Haußfrauen ... bemeltes seligen Meyers zum Wilberg ver lassenen ... Hof, ein etzliche Jahr anzunehmen ... willens, ... welches ihme auch dero und nachfolgender Gestalt von amtswegen ... verstattet ... ". Im Folgenden werden nun die Vertragsklauseln aufgeführt und bestätigt.

    Bei Altemeiers war die Leibzucht noch bewohnt. Das elternlose Mädchen, Trinchen mit Namen, hatte bei den Großeltern, Cord Altemeier und seiner Ehefrau Katarina, geb. Hanß aus Herrentrup, Aufnahme gefunden und sollte nun vom neuen Meier Klöpping "... mit notdürftigen Unterhalt, an Kleidern und Speise unter Aufsicht der Vormünder" versorgt werden. Nach Ablauf von zwanzig Jahren hatte Johann Klöpping den Hof an das Mädchen als dessen rechte Erbin abzutreten und die Leibzucht zu beziehen. Der Hoferbin blieb es jedoch vorbehalten, ob sie das Erbe antreten oder auf einen anderen, gleichwertigen Hof heiraten will, so lauten die Bedingungen. Ergänzend wird eingeräumt, dass ein "mit Gottes Hülfe" aus der Klöpping­schen Ehe hervorgehender Sohn, falls er nach Ablauf der zwanzig Jahre Meierzeit zur Verwaltung des Hofes "tüchtig" sein sollte, mit Einverständnis des Mädchens und seiner "Freundschaft" (d.h. Verwandtschaft) vor anderen darauf ziehen und "sich an das Metgen befreyen möge".

    Dieser Passus ist insofern bemerkenswert, da er im vorliegenden Fall die Bestimmungen der damaligen Kirchenordnung ignoriert, nach welcher auch an Kindesstatt in der Familie aufgewachsene Personen den blutsverwandten gleichgestellt werden und dementsprechend eine Ehe mit Klöppings Sohn ausgeschlossen hätte. Andererseits findet sich die Vertrags­klausel insofern entkräftet, da ein Sohn Klöppings nach Ablauf der vereinbarten Meierjahre in jedem Fall unter zwanzig Jahre alt gewesen wäre, nach damaligem Recht also minderjährig und nicht ehemündig. Ein Umstand, der nur in behördlich anerkannten Sonderfällen die Übernahme eines Hofes gestattete. Die Chance für das Zustandekommen einer solchen Ehe war demnach bereits programmatisch auf ein Minimum reduziert.

   "Sollte er einen Sohn bekommen, so möge dieser das Mägdlein heiraten. So liest man, und so scheint es auch gewesen zu sein ", schreibt Lizzy Schmidt in ihrem Pressebericht. Aber ihre Schlussfolgerung ist leichtfertig, denn es kam alles anders. Denn zum Überfluss allen Unglücks war der Hof Altemeier noch mit über 200 Talern verschuldet. Trinchens Großvater starb 1640, und im Jahr 1641 war der so genannte "Sterb­fall ", die Nachlass- oder Erbschaftssteuer ihres 1637 in den Kriegswirren umgekommenen Vaters Friedrich Altemeier noch nicht beglichen. Die neuerliche Belastung traf einen bereits ruinierten Hof. Johann Klöpping indessen wurde solcher Not nicht Herr und verfiel dem Alkohol.

   Folglich meldet das Gogericht bereits im Jahr 1643, dass Christoph Görder "des Meyers zum Wilberg, eine etzliche Jahr wüst gelegene Stätte" erblich angetreten habe "und wie ein einzig Erbe, als ein Mädchen zur Stätte gewesen", dem nunmehr vertraglich lediglich die Aussteuer zugesichert wurde. Als im Jahr 1655 Friedrich, dem Sohn Görders, jetzt genannt Altemeier, der Hof übertragen wurde und dieser Ilsabeth Hase aus Wilberg zur Frau nahm, fand Trinchen Altemeier als rechtmäßige Hoferbin keinerlei Erwähnung. Ihre Spur ver­schwand im terrae incognitae der Geschichte.     

   Dass Christoph Görder, der Leibzüchter Altemeier, 1654 auch Mühlenpächter ist und den "Garnkauf“, das Aufkaufen des gesponnenen Garns im Dorf betreibt, ist zwar bemerkenswert. Mehr jedoch fällt die für Genealogen verwirrende Tatsache auf, dass er im Mühlenpachtvertrag als geborener Manhenke (aus Dehlentrup) bezeichnet wird.

   Lizzy Schmidt stellt ihren Pressebeitrag zur lippischen Landesgeschichte unter den Titel: "Wilberg, ein alter Mühlenort". Zwei Mühlen nennt sie, und von einer, der Niedermühle, weiß sie zu berichten, "daß hier Anno 1715 ein neues Haus gebaut" worden sei. "Da die heutige Korn- und Sägemühle 1914 erbaut wurde, hat der alte `Neubau' genau 200 Jahre gehalten".

   Nun ist aber das 1715 errichtete Haus mit dem Mühlengebäude keineswegs identisch. Das neue Haus entstand vielmehr in dessen unmittelbarer Nachbarschaft auf Veranlassung des damaligen Erbpächters Johann Bernd Herzog, der es auch für kurze Zeit als "Leibzucht" bewohnte. Das erforderliche Grund­stück hatte Herzog von Johann Bernd zum Wilberg erworben.

   Erst im Jahr 1749 - also 34 Jahre später – geriet das fragliche Gebäude ins Blickfeld  der Behörden in Horn und Detmold. Man warf dem Niedermüller - jetzt Christoph Ludwig Brand - vor, ohne amtlichen "Consens" gehandelt zu haben, womit auch die entsprechende "Contribution" unterschlagen worden sei. Erst nach zahlreichen Verhören des Unschuldigen zitierte man schließlich den derweil nach Sandebeck verzogenen Erbauer des Hauses, Bernd Herzog, zur Amtsverwaltung nach Horn, und Rat Behmer musste sich beschämt den "Consens-Schein" mit "Signatur Detmold, den 26. April 1715" präsentieren lassen. Infolge behördlichen Versagens waren die derzeitigen Bewohner des Hauses für die Dauer der Untersuchungen in arge Not geraten. Denn selbst vom alten und gebrechlichen Einlieger Friedrich Selle und seiner Ehefrau, beide stammten aus Lemgo, verlangte man die rück-ständige "gehörige Contribution", da sie ein an­geblich "ohne Vorwissen" des Amtes erbautes Haus bewohnten. Dem rigorosen Befehl, dieses "binnen 4 Wochen zu evacuieren", entgegnete Friedrich Selle mit der „unterthänigsten Klage“, dass er sich in diesem Fall genötigt sähe, sein "Brod vor den Thüren zu suchen". Die Resolu­tion der Kammer in Detmold wurde vorläufig ausgesetzt, und mit dem Nachweis der Legiti­mität des Hauses bricht die Überlieferung ab. Weder Mühlenpächter Brandt noch Einlieger Selle hatten offenbar rückwirkend Verpflichtungen zu erfüllen.

     In der Folgezeit bewohnte dann u. a. ein Verwandter des Mühlenpächters, ein "Waldläufer" - modern: Forstaufseher - und Briefträger mit Namen Hermann Cordt Brand das Haus, bis es später, um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, Konrad Ernst Wilberg, wahrscheinlich infolge des Straßenneubaus von Schmedissen nach Wilberg abtragen ließ, um es auf seinem Hof als "Wirtschaftsgebäude" wieder zu errichten.

    Die in den Jahren 1697/98 neu angelegte herrschaftliche "Untere Mühle" oder "Nieder­mühle" zu Wilberg war also um 17 Jahre älter als das umstrittene Nebengebäude. Vorgänger Herzogs und erster Pächter der Mühle war seinerzeit Hans Hermann Hüppe jun., dessen Vater Hermann bereits 1664 als Erbpächter der Obermühle in Wilberg Einzug gehalten hatte. In dritter Generation um 1720 sind der Familie die Erbpachtrechte aufgrund tragi-scher Um­stände aberkannt worden.

    So wie die Niedermühle einst zwischen den Wäldern Wilbergs und Berentrups verborgen lag und nur über einen Waldweg zu erreichen war, so verbirgt sich noch heute die Obermüh­le zwischen den Höfen Altemeier (derzeit Dickewied) und Wilberg (derzeit Mölling) im Werregrund. Die Obermühle ist nach ausführlicher Beurkundung im Jahr 1574 er-baut und an "Jasper Möller", einem Kaspar Müller, der wahrscheinlich auch Scharfrichter zu Horn war, in landesherrliche Erbpacht vergeben worden, die jedoch nur eine Generation überdauerte. Die Höfe Lahmann, Wilberg und Altemeier hatten Grundstücke dazu abtreten müssen, wofür ersterem das "Malschwein", d. i. eine jährliche Naturalsteuer, und etliche Dienste erlassen wurden. Wilberg und Altemeier erhielten dagegen in freien Flurbereichen Ersatzländereien zugewie­sen.

    Auf des Alten Meyers Hof ist die Mühle erbaut, so überliefern es die schriftlichen Dokumente. Und "Meierscher Mühlenhof" nennt Lizzy Schmidt den Hof Altemeier, obwohl sich das heutige Mühlengebäude nicht mehr auf dem ursprünglichen Platz befindet. Eine Brandkatastrophe hatte der im Lauf vieler Jahrhunderte oftmals erneuerten ältesten Mühle im Dorf am Weihnachtstag des Jahres 1834 ein jähes Ende bereitet, und bis zum Frühjahr darauf wurde - diesmal am Nordufer der Werre - eine neue errichtet. Aber auch diese ist längst einem moderneren Bau des frühen 20. Jahrhunderts gewichen.

    Der aus den Gefilden der Phantasie gegriffene "Meiersche Mühlenhof“ aber - die schriftliche Überlieferung kennt diese Bezeich­nung nicht - kann sich vielleicht als solcher für einen kurzen Zeitabschnitt im Dreißig­jährigen Krieg tatsächlich legitimieren, in dem nämlich der Großkötter Altemeier auch Pächter der Mühle war. Schließlich behält die Autorin Lizzi Schmidt auch trotz faktischer Unschärfe insofern Recht, da nicht weniger als 260 Jahre, von 1574 bis 1834, das Mühlengewerbe auf dem Gelände des Hofes Altemeier als  Unternehmen herrschaftlicher Privilegien betrieben wurde, jedoch ohne dem Dorf eingegliedert zu sein! Selbst im 19. Jahrhundert wird die administrative Abkoppelung von Ober- und Niedermühle vom übrigen Dorf noch postalisch praktiziert: "Willbergermühlen" nennt sich der kuriose "Ort" noch 1868 - mit 17 Einwohnern!

    So zeigt sich, dass die faszinierende, wenn auch nicht unproblematische Korrespondenz mit der Vergangenheit des Dorfes Wilberg und des frühen Meinberg absolut virulent ist. Ein "Geschichte" konstituierendes Frage- und Antwortspiel der aufgetanen Phänomene, der expeditive Diskurs mit den verfügbaren "Quellen", der gegenständlichen und schriftlichen Hinterlassenschaft kann sich zur beachtenswerten Reportage eines Jahrhunderte alten Dorflebens in Bild und Sprache entwickeln -  auch wenn es kein Patentrezent für die "Wahrheit" gibt.

 

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OSTWESTFALEN/LIPPE IN DER DIÖZESE PADERBORN ZUR RÖMERZEIT

 

Aus "Monumenta Paderborniensa", Amsterdam 1672.

 

 

So stellte man sich um 1672 nach den Beschreibungen des römischen

Geschichtsschreibers Tacitus - 5 Bände seiner "Annalen" wurden

1505 in der Bibliothek des Klosters Corvey gefunden –

den Teutoburgerwald (Osning) im großen Weserbogen

um die Zeitenwende vor.

Eingetragen sind "Locus cladis Vari", Ort der Varusschlacht (9 n. Chr.)

und "Drusus a Sicambris hic prope oppressus", hier unterwarf

Drusus die Sugambrier (um 10 v. Chr.).

Vermerkt sind auch Lippe- und Einsquellen:

"Caput Luppio" (Lippspringe) und Caput Amisy" (Einssprung).

 

Am "Saltus Teutoburgiensis", dem ehemaligen "Osning" zwischen

Chatten, Sugambriern, Marsern, Angrivariern und Cheruskern

befindet sich unterhalb der Werre-Quelle (Wehren)

die Örtlichkeit unserer Geschichte,

das heutige Horn-Bad-Meinberg mit Wilberg.

 

Archäologische Funde bestätigten 1993 die Besiedlung

Wilbergs zur Eisenzeit, einer Epoche, die auch die so genannte

"Römische Kaiserzeit" einschließt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heimatverein Wilberg im Lippischen Heimatbund e.V.

Maßbruchweg 17
32805 Horn-Bad Meinberg

Telefon: 05234 9 90 13

Fax: 05234 95 30

Kontakt:
Walter Meier

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